Erforschungsgeschichte
Die Höhle beim Spannagelhaus sowie die benachbarten kleineren Höhlen sind allesamt „junge Kinder“ der Höhlenforschung. Erst 1960 wurden eine Vermessung der ersten 320 m Gangstrecken von Max. H.
Fink und Heinz Ilming durchgeführ. 1964 wurde die Höhle beim Spannagelhaus zum Naturdenkmal erklärt und 1994 die eingangsnahen Teile nach entsprechendem Ausbau als Schauhöhle der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht. 1995 wurde das nach Norden hinunterziehende 95er·System entdeckt, dessen Prospektion bei weitem noch nicht abgeschlossen ist.
Lage
Die Höhlen in der näheren und weiteren Umgebung des namensgebenden Spannagelhaus (2529 m), erreicht man, in dem man bis zum Talschluss des Tuxer Tales, dem westlichsten Seitental des Zillertales, fährt und die elegante Gletscherbahn zum Tuxerfernerhaus nimmt. Von dort steigt man in gut 10 Minuten zum Spannagelhaus ab, bei dem sich der Eingang zur größten Höhle in diesem Gebiet befindet, der „Höhle beim Spannagelhaus", kurz ,,Spannagelhöhle“ (Kat. Nr: 2411/001) genannt. Ihr Eingang, zugleich der Zugang zur öffentlich zugänglichen Schauhöhle, liegt auf einem breiten, grasbewachsenen Rücken, der Richtung NNW hinunterzieht.
Geologie
Größere Höhlen in den Zentralalpen sind fast immer an das lokale Vorkommen von Karbonatgesteinen gebunden. Im Fall der Höhlen des hinteren Tuxer Tales handelt es sich um echte Kalkmarmore, die
lokal innig verfaltet in Kristallingesteine (im Wesentlichen Gneis) eingeschaltet
sind. In den höhenmäßig ähnlich gelagerten Schächten und Höhlen des Kitzsteinhorn Gebieten sind es die KaIkglimmerschiefer der Bündner Schichten, und in dem hochalpinen Karstgebiet an der
Großglockner-Hochalpenstraße östlich des Hochtors Dolomite und Rauhwacken der sogenannte Seidlwinkltrias.
Ansicht des breiten Felsrückens, der vom Spannagelhaus in NNW-licher Richtung herunterzieht und unter dem sich ein Gutteil des derzeit bekannten Höhlensystems befindet. Der Berg im mittleren
Hintergrund ist die Gefrorene Wand Spitze (3286 m). Links und rechts davon die rasch zurückschmelzenden Eismassen des Gefrorene-Wand-Kees (Hintertuxer Gletscher). Rechts erkennt man gut die
scharfkantige Ufermoräne, die vom Gletscherhochstand um 1850 stammt. Die Geländeform links der Lifttrasse ist die künstlich angelegte Schipiste
Wie Marmor entsteht
Das Alter von Marmor ist nicht einfach eruierbar, da die Gesteinsmetamorphose „gründliche” Arbeit geleistet hat. Im Falle des hinteren Tuxertales wissen
wir, dass diese Gesteine erst in geologisch junger Zeit nach einer Phase der tiefen Versenkung in die Erdkruste wieder herausgehoben wurden.
Ersterer Prozess der „Talfahrt” in Richtung Erdinneres geschah im Zuge der alpidischen Gebirgsbildung, als Decken weiter südlich gelegener Krustensegmente über die heutigen Zentralalpen geschoben
wurden. Letzterer Prozess, die Heraushebung, erfolgte als Konsequenz einer West-Ost-Dehnung der Ostalpen, in deren Zuge die Hohen Tauern zwischen Wipptal und Katschtal emporkamen bzw. noch immer
kommen. In weiterer Folge dieser „Liftfahrt nach oben" rissen Spalten im Gestein auf, heiße Lösungen traten ein und es bildeten sich die bekannten alpinen Zerrkluft-Minerale der Hohen Tauern (und
auch das Tauerngold). Die Verwitterung und Erosion trägt fast genauso viel Material ab, wie seit dem Beginn dieses sog. „uplifts" vor 20 Millionen Jahren von unten nachkommt; die früheren Berge
der Hohen Tauern und Zillertaler Alpen liegen heute fein aufbereitet als Sedimente im Untergrund Südbayerns: Ein Werk der Vorläufer von Ziller und Inn. Das Zusammenspiel von langsamer
Heraushebung und Erosion führt letztendlich dazu, dass der Alpinist in den westlichen Zillertaler Alpen heute über Gesteine steigt, die noch vor cirka 20 Millionen Jahren etwa 25 km tief in der
Erdkruste gelagert haben. Bei den dort herrschenden Bedingungen (bis cirka 550°C und bis zu 10.000 bar Druck)
reagieren Gesteine bereits plastisch und es kommt außerdem zu einer Umwandlung ihres Mineralbestandes (Metamorphose), die im Falle des Spannagelhöhlensystems aus einem marinen Kalk des Oberen Jura (zur Bestimmung des Alters siehe unten) einen Marmor geformt hat. Auch der heute über dem Marmor liegende sogenannte Zentralgneis, aus dem z.B. der Gipfel des Olperer (3476 m) besteht, hat „klein beigeben" müssen; er weist seitdem eine schwache Schieferung auf, die ihm, der er ein Granit war, ursprünglich fehlte.
Die Bestimmung des Alters
Eine Folge der Metamorphose von Karbonatgesteinen ist das weitgehende Zerstören von Fossilresten. Eine altersmäßige Zuordnung solcher Gesteine ist dann meist nur noch durch anderweitige
Beobachtungen und Vergleiche möglich. Im Falle unseres Marmors spielte seinerzeit auch Kommissar Zufall mit. Wir schreiben das Jahr 1939. Nahe dem Zusammenfluss von Tuxbach und Zemmbach, beim
Weiler Hochstegen bestand damals ein kleiner Steinbruch (der heute noch an der Straße zu sehen ist). Das Gestein, das dort abgebaut wurde, ist derselbe Marmor wie oben beim Spannagelhaus; er
zieht von dort nach Nordost und ist z.B. für die steile Klamm des Tuxbaches westlich von Finkenberg verantwortlich. Einem aufmerksamen Beobachter war nun ein eigenartiger spiralartiger Abdruck in
einem großen Marmorbrocken aufgefallen, der bereits in eine Straßenmauer in Zell am Ziller eingebaut war. Experten des Geologisch-Paläontologischen Instituts der Universität Innsbruck erkannten
diesen als Negativabdruck eines zwar stark zerdrückten, aber noch tadellos als solcher identifizierbaren Ammoniten und konnten den Fund auch bergen (120 kg Block!). Die Präparation dieses Fundes
führte übrigens Georg Mutschlechner, späterer langjähriger Obmann des Landesvereins für Höhlenkunde in Tirol, durch. Spätere Untersuchungen konnten dieses Fossil sogar noch zur Gattung bestimmen
und dadurch eine zeitliche Einstufung - oberster Jura, cirka 150 Millionen Jahre vor heute - erlauben (spätere Untersuchungen an Proben von Hochstegen als auch vom gut sichtbaren Aufschluss kurz
vor der Talstation der Seilbahn auf den Penken in Finkenberg, konnten durch Mikrofossilien diese Einstufung
weiter untermauern).
Ein Meer vor 150 Millionen Jahren
Durch diese kargen Überreste ehemaliger Organismen kann man die höhlenbildenden Marmore des Spannagel Gebietes - die in der Literatur als Hochstegenkalk oder -marmor geführt werden zeitlich -
einordnen. Deren Vorkommen belegt neben dem Alter auch die Entstehung dieses Gesteins: Es wurde am Grunde eines Schelfmeeres abgelagert, dessen Tiefenwasser, und das lässt sich trotz der
Gesteinsmetamorphose noch gut nachweisen, lebensfeindlich, d.h. arm an Sauerstoff gewesen sein muss. Dafür sprechen folgende Beobachtungen, die man auch in den Höhlen machen kann. Zum einen
bemerkt man beim Anschlagen der dunklen Lagen oft einen Geruch nach Schwefelwasserstoff. Gesteinsanalysen belegen auch das häufige Vorkommen winziger Kristalle von Pyrit, einem Eisensulfid, das
sich nur unter Bedingungen bilden kann, wie sie heute z.b. in den Tiefen des Schwarzen Meeres herrschen. Auch die regelmäßige Schichtung, die sich lokal bis in den Millimeterbereich verfolgen
lässt, spricht dafür, dass das damalige Meeresbecken schlecht durchlüftet war und dass es deshalb damals am Meeresboden kein nennenswertes Bodenleben gab. In den heutigen offenen Ozeanen, deren
Tiefenwasser sauerstoffreich ist, werden die oberen Zentimeter des Meeresbodens intensiv von diversen Organismen durchwühlt und eine feine Feinschichtung kann sich daher nicht erhalten. Ein
letzter Punkt spricht ebenfalls für ein lebensfeindliches Milieu in dem Hochstegen-Meer: Die vorherrschend dunkle Farbe des Gesteins. Sie rührt von ehemaliger organischer Substanz her, die nach
der Metamorphose als feinste, graphitische Beimengung vorliegt. Ihr Gehalt übersteigt selbst bei recht dunklen Proben nie etwa 1 Gewichts-Prozent, d.h. das Gestein besteht zum allergrößten Teil
aus Kalzit (plus etwas Quarz). Organische Substanz, die von abgestorbenen Kleinstlebewesen stammt, die sich in den obersten Zehnermetern des lichtdurchfluteten Meerwassers aufgehalten haben,
bleibt am heutigen Meeresboden nicht erhalten. Seine Konservierung setzt ein (beinahe) sauerstofffreies Milieu voraus, das ganz offenbar im obersten Jura geherrscht hat.
Gerade in der Spannagelhöhle sieht man auch immer wieder hellere Lagen, die in unterschiedlicher Mächtigkeit in die vorherrschend grauen Kalkmarmore eingeschaltet sind. Ihre auffallende
Hellfärbung dürfte folgende Ursache haben: Am Rande dieses abgeschnürten Meeresbeckens konnten sich im seichten Wasser Areale mit hellen Karbonaten bilden; von diesen Hochzonen glitten unter
meerische Lawinen in die tieferen Beckenteile und transportierten helles Material in das schlecht durchlüftete Becken. Es handelt sich also bei diesen hellen Lagen sehr wahrscheinlich um
ortsfremdes Material, das während kurzzeitiger Ereignisse in das Becken geschüttet und anschließend von der nächsten Lage aus organisch reicherem Sediment überschichtet wurde. Ein letztes Merkmal
des Hochstegenmarmors muss hier noch erwähnt werden, die Hornsteine. Besucher der Höhle wundern sich oft über die dunklen Einschlüsse, die aus der Wand vorstehen und somit aus beständigerem
Material als Kalzit bestehen. Sie sind aus Quarz aufgebaut und entfernt vergleichbar mit jenen, ebenfalls dichten Kieselgesteinen, die in der Steinzeit aus diversen Karbonatgesteinen gewonnen und
zu scharfen Steinwerkzeugen verarbeitet wurden. Die ,,normalen" Hornsteine sind meist rundlich in Gestalt, die im Spannagel-Gebiet jedoch zum Teil meterlang, schwertartig, spindelartig, oder als
nur wenige Millimeter dünne Platten ausgebildet. Misst man die Richtung dieser Gebilde mit einem Kompass ein, so findet man, dass sie im Wesentlichen alle in West-Ost orientiert sind ·und nach
Westen einfallen. Diese strenge Anordnung weist bereits auf ihre Entstehung bzw. Umformung hin: Durch Auskristallisation von Kieselsäure (die ihrerseits aus kieseligen Mikroorganismen stammt)
entstanden bald nach der Ablagerung des Hochstegenkalkes ,,normale" Hornsteine, auch Kiesel-Konkretionen genannt. Im Zuge der starken Aufheizung und Dehnung des Gebietes vergröberte sich das
mikroskopische Gefüge und die Konkretionen wurden entsprechend der generellen West-Ost-Dehnung des Tauern-Fensters enorm gestreckt. Man kann sich somit anhand dieser interessanten Gebilde im
wahrsten Sinn plastisch die Gebirgsverformung vor Augen führen, die hier im Zeitraum von etwa 20 bis 15 Millionen Jahren vor heute am Werk war und zur Geburt des Alpenhauptkammes zwischen Wipp-
und Katschtal geführt hat.
Typischer Anblick des schön gebänderten Hochstegen Marmors, aufgenommen in der sogenannten Marmorhalle. Man beachte den sehr scharfen Wechsel von hellgrauen und dunkelgrauen Lagen.
Aus dieser nassen Höhlenwand ragen braune Quarzplatten und spindelartige Gesteinseinschlüsse heraus, sogenannte Hornsteine. Im Gegensatz zum umgebenden Kalkmarmor werden sie nicht angelöst und so
langsam aus der Wand herauspräpariert. In diesem Bildausschnitt stehen die Hornsteine bis zu 15 cm hervor.
Die Gneise
Gesteine jünger als der Hochstegenmarmor sind im unmittelbaren Gebiet des Spannagelhöhlensystems nicht vorhanden; denn über dem Marmor liegt als völlig ortsfremder ,,Deckel" der Zentralgneis, der
wesentlich älter ist und nach radiometrischen Altersbestimmungen in das oberste Karbon gehört, also etwa 300 Millionen Jahre „auf dem Buckel hat“. Seine heutige Lage über dem jüngeren
Hochstegenkalk erklärt sich aus der komplizierten tektonischen Situation dieses Gebietes. Kennzeichen des Zentralgneises ist seine helle Farbe). An der Basis, direkt am tektonischen Kontakt zum
liegenden Marmor, ist er stark zersetzt und meist dunkel gefärbt. Dieser messerscharfe, in Falten gelegte Kontakt ist eine der wichtigen strukturellen Elemente der Spannagelhöhle und an vielen
Stellen lässt sich diese Gesteinsgrenze in der Höhle weit verfolgen.
Kompakter, heller Zentralgneis findet sich lokal sehr häufig auch in den Höhlen des Spannagel-Gebietes als meist sehr gut gerundete Gerölle, die ganz offensichtlich durch hochenergetische
Gletscherwässer in und durch die Höhle transportiert worden sind. Eindrucksvoll beispielsweise die Situation im Bereich des Portals der Kleegrubenhöhle. Es befindet sich heute über einem
Steilabsturz von cirka 15 m Höhe; dennoch sind obertage einige halbmetermessende runde Zentralgneis-Gerölle in Felsnischen (Hochstegenmarmor) einkeilt; gewissermaßen vom Eiszeitgletscher dort
,,vergessen" worden.
Recht wenig wissen wir über das dunkle Gestein, das das Liegende des Marmors bildet. Es „hört auf" den wenig einprägsamen Namen ,,Phengit-Arkose-Gneis" und baut z.B. den markanten Höllenstein (2873 m) östlich von Hintertux auf (der richtig ,,Höhlenstein" heißen sollte). Zur Erklärung des Namens: Phengit ist ein Hellglimmer und Arkose bezeichnet einen Sandstein mit einem hohen Gehalt an Feldspat-Körnern.
Dieser grobkörnige, zum Teil knollige Gneis entstand also durch Metamorphose von ursprünglich konglomeratischen, kiesigen und sandigen, aber kalkfreien Sedimentgesteinen, war also keine
granitische Schmelze wie sein jüngerer Kollege, der Zentralgneis. Eine genaue Bestimmung, wann diese sedimentären Ausgangsgesteine gebildet wurden, liegt derzeit noch nicht vor; die meisten
Bearbeiter sehen in ihm ein paläozoisches, vielleicht ein permisches Sediment (Perm: 290-250 Millionen Jahre vor heute). Klar ist jedoch, dass der Hochstegenkalk auf ihm abgelagert wurde, d.h.
die heute meist verfaltete Liegend-Grenze des Marmors - durch die lokal halbmeterdicke Quarz-Gänge durchschlagen -ist eine ursprüngliche. Direkt über diesem Sockel liegen zuerst wenige Meter
eines braun anwitternden, glimmerreichen Gesteins, der sogenannte Basismarmor. Die Grenze und der Basismarmor sind vielerorts in der Höhle gut erkennbar. Erst darüber baut sich der im
Spannagelgebiet 20-30 m mächtige, mittelgraue, gebänderte Kalkmarmor auf, der auch obertags lokal deutliche Karsterscheinungen zeigt. Die Grenze von unterlagerndem Gneis zu Basismarmor ist direkt
hinter dem Spannagelhaus sowie nördlich davon im Bereich der Schipiste prächtig einzusehen.
Gerundete Gerölle aus weißem Zentralgneis, die häufig in den Höhlen einen dunkelbraunen Überzug aus Eisen-(Mangan)-Oxiden aufweisen. Das untere Geröll wurde aufgeschlagen, um das Innere zu
zeigen. Maßstab mit cm-Einteilung.
Eine geologisch bedeutende Grenzzone ist entlang der Schipiste unterhalb des Spannagelhauses gut einsichtig: Über dem liegenden Gneis folgt mit scharfer Grenze ein braun anwitterndes Gestein, die
Basis des Hochstegen-Marmors, der als sandiges, glimmerreiches Sediment direkt auf den Gneis-Sockel abgelagert (und später etwas verfaltet) wurde. Bildbreite etwa 3 m.
Weißer Zentralgneis, der die kristallinen Kerne der westlichen Zillertaler Alpen bildet und z.B. den Gipfel des Olperer aufbaut. Dieses harte Gestein findet sich vielerorts in der Höhle als
gerundete Gerölle. Längerer Durchmesser der Probe 8 cm.
Wichtige tektonische Grenze, wie sie vielerorts in der Spannagel Höhle zu erkennen ist: Über dem grauen Hochstegen Marmor folgt mit messerscharfer, oft verfalteter Grenze der Zentralgneis, der an
dieser Überschiebungsbahn auffallend dunkel gefärbt ist. Lokalität Tropfsteingang. Handschuh als Größenmaßstab. Der Zentralgneis ist viel älter als der Marmor und wurde erst im Zuge der
alpidischen Gebirgsbildung über letzteren geschoben.
Verkarsteter Hochstegenmarmor, so wie er an der Schipiste im Gebiet der sogenannten Berger Seite (N Spannagelhaus) freigelegt wurde. Die ehemals sehr engen Klüfte sind durch langsame Lösung
(Karst) deutlich erweitert worden.
Quelle: Festschrift 50 Jahre Landesverein für Höhlenkunde in Tirol